Don't Look Back!" Schaut nicht zurück, mit Tränen in den Augen, weil ihr einem Sänger hinterher trauert, der bis zu diesem Album maßgeblich die Musik von SAGA mit seiner charismatischen Stimme prägte.

„Look Forward!", und seht eine Band, deren instrumentalen Ausflüge an neuer Frische und Härte gewonnen haben, deren Stimme aber genau das Charisma verloren hat, welches bisher zu einer Art Markenzeichen von SAGA geworden ist.

Sie werden also geteilt sein, die Meinungen zum ersten Album der Nach-SADLER-Ära von SAGA. Und sicher werden viele, so wie wohl auch ich, glauben, dass MORATTI alles das nicht hat, was SADLER ausmachte: eine einzigartige Stimme mit hohem Erkennungswert und einen Einfluss auf die SAGA-Musiker, der recht dominant und stilprägend war. Denn plötzlich dominiert und fasziniert die Musik viel mehr als der Gesang – und plötzlich kommen wieder die progressiven Gefühle auf, die wir seit „Generation 13" für SAGA als verloren ansahen.

„The Human Condition" beginnt mit einem fulminanten Stück, das die Richtung des neuen Albums mehr als deutlich vorgibt: progressive Härte und produktionstechnische Achterbahnfahrten, die den Boxen unserer Anlage so einiges abverlangen. Das macht Spaß und seit dem unglaublichen „New Rising" von SEVEN STEPS TO THE GREEN DOOR, einer deutschen Band mit so einigen SAGA-haften Zügen, bin ich seit langem nicht mehr von einem Eröffnungstitel dermaßen angetan gewesen.

Auch bestätigt sich meine stille Hoffnung, die ich nach dem nur durchschnittlichen Vorgängeralbum „10.000 Days" hatte, dass der einzige wirklich spannende Titel darauf, „Corkentellis", als Maßstab für den Nachfolger gilt. Tatsächlich setzt „The Human Condition" genau hier wieder an.

Aber auch der Widerspruch in den Aussagen eines SADLERS und IAN CRICHTONS zur Thematik Konzeptwerk lassen so einige Meinungsunterschiede zwischen Band und ehemaligem Sänger erkennen. Während SADLER noch bei „10.000 Days" behauptete, bewusst kein Konzept zu verfolgen, um nicht als „übermäßig geistig durchdacht" zu klingen, erfahren wir nunmehr von CRICHTON zu „The Human Condition", dass sie sich „für die Form eines Albums jedes Mal ein spezielles Thema" aussuchen, bevor sie mit dem Komponieren beginnen. „Der Titel ‚The Human Condition' erklärt sich von selbst.", setzt CRICHTON fort. Recht hat er. Es geht um den Zustand der Menschheit. „Es ist ein weites Feld, Luise.", würde dazu wohl der Vater von Effi Briest im Fontane-Klassiker äußern. So ein Konzept sagt alles und auch gar nichts und jeden noch so kleinen Schmachtfetzen, wie „Hands Of Time", kann man darin unterbringen.

Aber hinter „Hands Of Time" verbirgt sich noch eine zweite, aus meiner Sicht erschreckende Erkenntnis. Nämlich dass ROB MORATTI stimmlich eine große Ähnlichkeit mit JON BON JOVI hat. Eine Stimme eben, die mehr für die ruhig-hymnischen als die komplexeren oder progressiv-härteren Momente taugt. Hier also liegt der Widerspruch des neuen Albums. Die instrumentale Ausrichtung und der Gesang bilden nicht immer eine Einheit, passen nicht immer zusammen. Und spätestens bei „A Number With A Name" bestätigt sich dieser Eindruck endgültig. Eigentlich der einzige, wirklich nach moderner Hörweise typische SAGA-Titel klingt mit MORATTI nach eingeschlafenen Füßen. Aber man muss solcher Aussage zugute halten, dass diese Kritik nicht so böse gemeint wie geschrieben ist – vielleicht weist ja MORATTIS Stimme schon beim folgenden Album mehr Ecken und Kanten auf, klingt mutiger und abwechslungsreicher als die recht glattgebügelte Variante auf „The Human Condition".

Den Menschen wie das Album „The Human Condition" zeichnet nicht nur aus, dass er zwei Augen, sondern manchmal auch zwei Gesichter hat – ein schönes und ein weniger schönes. Das schöne Human-Condition-Gesicht sind besonders die vielfältigen, sehr abwechslungsreichen Instrumentalteile, das weniger schöne die etwas eintönigen Gesangspassagen, denen schlicht und ergreifend der Wiedererkennungswert fehlt.

FAZIT: Wendet den Blick nach vorn und seht: Das Leben geht auch ohne SADLER weiter und es hat eine vielleicht verheißungsvolle MORATTI-Zukunft. Willkommen im Zeitalter einer Band, die noch immer so klingt, wie man es von ihr erwartet, die aber trotzdem ein paar mutige, härtere und progressivere Seitenpfade betritt, wie wir sie seit „Generation 13" nicht mehr von ihr zu hören bekamen bzw. zu erhoffen wagten.

Thoralf Koß


Quelle: http://www.musikreviews.de/reviews/2009/Saga/The-Human-Condition/

twitter button
facebook button
pinterest button
Pinterest
gplus button
01.jpg02.jpg03.jpg04.jpg05.jpg06.jpg07.jpg08.jpg09.jpg10.jpg11.jpg12.jpg13.jpg14.jpg15.jpg16.jpg17.jpg18.jpg18a.jpg19.jpg20.jpg21.jpg22.jpg23.jpg24.jpg25.jpg27.jpg27a.jpg28.jpg29.jpg30.jpg31.jpg32.jpg33.jpg34.jpg35.jpg36.jpg37.jpg38.jpg39.jpg40.jpg41.jpg42.jpg42a.jpg43.jpg44.jpg